Kuhnection

Kastration beim Rind

Warum überhaupt kastrieren?

Stiere können sehr gefährlich werden, und es kommt immer wieder zu schweren, teilweise tödlichen Unfällen. Für die meisten Halterinnen und Halter sind Stiere daher ungeeignet. Die Kastration reduziert hormonbedingtes Verhalten wie Dominanz, Aufreiten oder Aggression und verhindert ungewollte Fortpflanzung. Kastrierte männliche Rinder werden als Ochsen bezeichnet. Sie sind in der Regel ruhiger und leichter zu handhaben, was sie besonders für
die Hobbyhaltung oder als Arbeitstiere geeignet macht

Wann ist der richtige Kastrationszeitpunkt?

In der Literatur über die Kastration bei Bullen stehen meist wirtschaftliche Aspekte wie Fleischqualität, Mastleistung oder Stressreaktionen im Vordergrund. Studien, die den optimalen Kastrationszeitpunkt im Hinblick auf die körperliche und psychische Entwicklung sowie auf eine lange Lebensdauer untersuchen, fehlen bisher weitgehend.

Ein Blick in die Kleintier- und Pferdemedizin zeigt jedoch, dass dort heute von einer möglichst frühen Kastration abgeraten wird. In der Kleintiermedizin wird nicht mehr routinemäßig kastriert. Wenn eine Kastration dennoch vorgesehen ist, wartet man bewusst länger, damit sich die Tiere unter dem Einfluss der Geschlechtshormone sowohl körperlich als auch psychisch entwickeln können. Auch in der Pferdemedizin wird eine zu frühe Kastration zunehmend kritisch betrachtet. Früh kastrierte Hengste entwickeln oft einen weicheren Körperbau und zeigen häufiger überaktives oder unsicheres Verhalten in gemischten Gruppen. Eine spätere Kastration führt dagegen zu einem harmonischeren Körperbau und stabileren sozialen Strukturen.

Körperliche Entwicklung

Testosteron beeinflusst beim Rind verschiedene physiologische Prozesse, insbesondere das Wachstum der Harnröhre und der Muskulatur. Unter dem Einfluss dieses Hormons erweitert sich das Lumen der Harnröhre, was das Risiko für Harnsteinbildung deutlich reduziert. Bei sehr früh kastrierten Tieren bleibt die Harnröhre enger, wodurch die Gefahr steigt, dass Harnsteine stecken bleiben. Auch das Körperwachstum profitiert von einer gewissen hormonellen Reifung. Später kastrierte Tiere entwickeln einen kräftigeren, stierenhafteren Körperbau mit besser ausgeprägter Muskulatur.

Verhalten und psychische Entwicklung

Die Geschlechtshormone beeinflussen nicht nur den Körperbau, sondern auch das Sozialverhalten. Wie sich der Kastrationszeitpunkt langfristig auf die Verhaltensentwicklung auswirkt, ist beim Rind bisher wissenschaftlich nicht untersucht. Beobachtungen aus der Praxis sowie Erkenntnisse aus anderen Tierarten deuten jedoch darauf hin, dass eine hormonelle Reifung zur Stabilisierung des Verhaltens und zur Entwicklung der Persönlichkeit beitragen kann. Früh kastrierte Tiere wirken häufig etwas unsicherer und zeigen weniger ausgeprägtes Sozialverhalten, während spät kastrierte Tiere meist ruhiger, aber selbstsicherer auftreten.

Abwägung des optimalen Zeitpunkts

Einen allgemeingültigen idealen Zeitpunkt gibt es nicht. Er hängt davon ab, wann das Kalb in die Pubertät kommt, wie die Herdenkonstellation aussieht, welches Platzangebot vorhanden ist und welche Haltungsform gewählt wurde. Befinden sich in der Gruppe weibliche Tiere, die nicht gedeckt werden dürfen, ist besondere Vorsicht geboten.

Wenn es die Umstände erlauben, ist eine Kastration im Alter von sechs bis acht Monaten meist ein guter Kompromiss. Die Tiere profitieren sowohl körperlich als auch psychisch von einer natürlichen hormonellen Entwicklung bis dahin, sind aber meist noch gut händelbar. Der Eingriff ist zu diesem Zeitpunkt jedoch aufwendiger, da die Hoden bereits größer sind.

Welche Kastrationsmethoden gibt es?

Jede Kastrationsmethode ist mit Schmerzen und Stress für das Tier verbunden. Unabhängig von der gewählten Methode ist es daher umso wichtiger, auf eine möglichst gute Schmerzbehandlung zu achten. Bewährt hat sich eine multimodale Analgesie, also die Kombination aus örtlicher Betäubung und systemischer Schmerzmittelgabe (1). Auch in den Tagen nach dem Eingriff ist eine fortgesetzte Schmerzmittelgabe sinnvoll, um das Tier zu entlasten und die Heilung zu fördern.

Je nach Tier, Umgebung und Routine der Tierärztin oder des Tierarztes kann zusätzlich eine Sedation erfolgen. Manche Eingriffe werden – bei ruhigen, gut fixierten Tieren – auch stehend ausschließlich unter Lokalanästhesie durchgeführt.

Obwohl Rinder im Vergleich zu anderen Tierarten wie Pferden oder Schafen weniger anfällig für Tetanus sind, ist eine Tetanusprophylaxe insbesondere bei chirurgischen Eingriffen empfehlenswert.

Wichtig ist zu wissen, dass ein Tier bis zu sechs Wochen nach der Kastration noch zeugungsfähig sein kann – eine Trennung von weiblichen Tieren bleibt daher vorerst notwendig.

Burdizzo-Zange

Hierbei handelt es sich um eine blutlose Methode, bei der die Samenstränge durch die Haut hindurch gequetscht werden. Sie kann erst ab einem Alter von etwa drei Monaten durchgeführt werden, da die Samenstränge zuvor zu fein sind, um sicher vollständig gequetscht zu werden. Es entsteht keine offene Wunde, wodurch das Infektionsrisiko deutlich reduziert wird.

Nach der Kastration mit der Burdizzo-Zange sollten die Tiere in den ersten Tagen gut überwacht werden. Eine Schwellung des Hodensacks ist normal und bildet sich innerhalb einer Woche deutlich zurück. Empfindlichkeit im Bereich der Hoden ist während dieser Zeit ebenfalls zu erwarten. Die Hoden verkleinern sich anschließend über mehrere Wochen allmählich.

Etwa vier bis sechs Wochen nach dem Eingriff sollte kontrolliert werden, ob die Hoden deutlich kleiner geworden sind und sich das Verhalten verändert hat. Bei Unsicherheit kann der Erfolg der Kastration durch eine Bestimmung von Testosteron oder Anti-Müller-Hormon im Blut überprüft werden.

Chirurgische Kastration

Unter Lokalanästhesie wird der Hodensack eröffnet und die Hoden werden entfernt. Es bleibt eine offene Wunde zurück, die ein gewisses Infektionsrisiko birgt. Meist verläuft die Heilung komplikationslos, dennoch sollte der Eingriff nicht im Sommer erfolgen, da Fliegen die Wunde befallen können.

Nach einer chirurgischen Kastration ist vor allem auf eine saubere Wundheilung zu achten. Die Wunde sollte regelmäßig kontrolliert werden, insbesondere bei warmem Wetter und Fliegenbesatz.

Gummiring

Dem Kalb wird in den ersten Lebenswochen – in der Schweiz nur unter Lokalanästhesie und Analgesie erlaubt – ein Gummiring oberhalb der Hoden angebracht, der die Blutzufuhr abschnürt. In den folgenden Tagen kommt es zum Absterben und Austrocknen des Hodensacks und der Hoden, die nach einigen Wochen abfallen.

Um die Heilung zu fördern und das Risiko von Infektionen zu verringern, empfiehlt es sich, den vollständig abgetrockneten Hodensack inklusive Ring etwa zehn Tage nach dem Anlegen mit einem sauberen Messer oder Skalpell zu entfernen (2).

Diese Methode ist in der EU verboten.

Kastration weiblicher Tiere

Auch bei weiblichen Tieren kann es Überlegungen geben, ob eine Kastration sinnvoll ist. In der Hobbyhaltung kann die regelmäßige Brunst zu Unruhe, gefährlichen Situationen und gar zu tragischen Unfällen führen.

Eine chirurgische Kastration ist beim weiblichen Rind jedoch ein deutlich schwerwiegender Eingriff, da sich die Ovarien im Bauchraum befinden. Der Zugang erfolgt entweder durch eine Eröffnung der Bauchhöhle oder über das Scheidendach (transvaginal). Beide Methoden bergen erhebliche Risiken wie Blutungen, Infektionen oder Verwachsungen. Der Nutzen muss daher sorgfältig gegen das Risiko abgewogen werden.

Immunokastration

Als weniger invasive Alternative steht die Immunokastration mit einem GnRH-Impfstoff (z. B. Improvac®) zur Verfügung. Diese Impfung blockiert die hormonelle Steuerung der Fortpflanzungsachse und führt vorübergehend zu einer Unterdrückung der Geschlechtsfunktion.

Bei weiblichen Tieren kommt es dadurch zu einer Brunstunterdrückung, bei männlichen Tieren zu einer Reduktion der Sexualhormonproduktion und des damit verbundenen Verhaltens(3,4).

Die Wirkung ist reversibel, weshalb regelmäßige Wiederholungsimpfungen nötig sind, um den Effekt aufrechtzuerhalten. Das Impfschema variiert je nach Hersteller und sollte entsprechend den Angaben des Präparats eingehalten werden. Nach der Injektion kann es zu vorübergehenden Schwellungen an der Injektionsstelle kommen, die sich jedoch in der Regel wieder zurückbilden.

Die Immunokastration eignet sich für beide Geschlechter und stellt eine praktikable und tierschonende Alternative zu chirurgischen Eingriffen dar, insbesondere wenn eine vorübergehende Fruchtbarkeitskontrolle oder Verhaltensberuhigung gewünscht ist.

Was passiert nach der Kastration im Körper?

Die Hoden produzieren die Sexualhormone, insbesondere Testosteron, welches sowohl das Verhalten als auch den Körperbau beeinflusst. Nach der Kastration verändern sich diese Merkmale je nach Alter des Tieres unterschiedlich. Wird ein Tier sehr früh kastriert, entwickelt es einen weicheren Körperbau mit weiblicheren Formen und stärkerem Fettansatz. Wird ein Stier erst später kastriert, behält er einen kräftigeren, stierenhaften Ausdruck. Bei einer sehr späten Kastration kann das stierenhafte Verhalten jedoch noch über längere Zeit bestehen bleiben, bevor es allmählich abnimmt.

Da sich nach der Kastration zunächst noch Testosteron im Blut und im Gewebe befindet, treten Verhaltensänderungen meist erst verzögert ein. Es dauert einige Wochen, bis die Hormonspiegel deutlich sinken und das Verhalten sich stabilisiert. Dieser Zeitraum kann individuell unterschiedlich sein und hängt unter anderem vom Alter und Temperament des Tieres ab.

Testosteron und Östrogen spielen zudem eine wichtige Rolle beim Epiphysenschluss der Knochen. Fehlen die Hormone, bleiben die Wachstumsfugen der langen Röhrenknochen länger offen, und die Tiere wachsen über einen längeren Zeitraum weiter(5). Ochsen werden dadurch häufig größer und höherbeinig als Stiere, erreichen ihre volle körperliche Belastbarkeit jedoch erst entsprechend später. Dies ist insbesondere bei der Ausbildung oder Arbeit mit körperlicher Beanspruchung, etwa beim Reiten oder Ziehen, zu beachten.

Über die Autorin

Ich bin Dr. med. vet. Sibylle Zwygart, Rindertierärztin und selbst Halterin von Hobbyrindern.
Mein Ziel ist es, mein fachliches Wissen und meine Praxiserfahrung für die Gesunderhaltung
von Hobbyrindern einzusetzen und dieses Wissen weiterzugeben. Gleichzeitig möchte ich
zeigen, welch sensible und feine Wesen Rinder sind, und ihre Sprache auch anderen
Menschen näherbringen. Ich begleite Halterinnen und Halter dabei, ihre Tiere besser zu
verstehen und sie mit Geduld und Respekt auszubilden.

Quellen

  1. Marquette GA, Ronan S, Earley B. Review: castration – animal welfare considerations. J Appl Anim Res [Internet]. 31. Dezember 2023 [zitiert 1. November 2025];51(1):703–18. Verfügbar unter: https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/09712119.2023.2273270

  2. Steiner A, Janett F. [Castration in the bull calf and ram lamb]. Schweiz Arch Tierheilkd [Internet]. November 2013 [zitiert 1. November 2025];155(11):603–11. Verfügbar unter: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/24168770/

  3. Schmid RM, Studer E, Hirsbrunner G. Oestrus suppression in a dairy herd by means of anti-gnrh vaccination improvac®: A prospective field study. Schweiz Arch Tierheilkd. 2020;162(2):93–100.

  4. Theubet G, Thun R, Hilbe M, Janett F. Wirkung einer impfung gegen GnRH (Bopriva®) beim männlichen pubertären kalb. Schweiz Arch Tierheilkd. Oktober 2010;152(10):459–69.

  5. Gibson MJ;, Hickson RE;, Dittmer KE;, Back PJ;, Rogers CW, Gibson MJ, u. a. Measures of Bone Morphology in the Medial and Lateral Condyles of the Metacarpus in Beef Cross Dairy Cattle at 8–12 and 24 Months of Age. Ruminants 2022, Vol 2, Pages 297-307 [Internet]. 27. Juni 2022 [zitiert 1. November 2025];2(3):297–307. Verfügbar unter: https://www.mdpi.com/2673-933X/2/3/20/htm